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Adler und Taube von James Krüss
gibt es wieder als Neuauflage im Verlag Walter Kögler!
Das ideale Konzentrations- und Gedächtnis-Training: die reizenden einfachen Geschichten lesen und nacherzählen.

Der Text ist ungekürzt, ja sogar noch um 2 Fotos und eine umfangreiche 30seitige Biografie von James Krüss erweitert.
124 S. 10,8x18 cm Paperback, cellophaniert.
Inhalt: Spinnendank macht Menschen keine Ehre, Die rebellischen Esel, Die Geschichte vom Zaunkönig und dem Adler oder Die Mücke und der Elefant, Die Geschichte vom Adler in der Flasche, Der Krieg ist sehr verschieden vom Frieden, Die Geschichte vom Hamster und der Trompete, Die Geschichte vom Wecker im Wald, Die Geschichte von Frau Mara und ihrem Sohn Vuk

77771 1 Stück in den Warenkorb legen 11,50 €

Leseprobe:
Eine Taube, die – weit entfernt vom heimatlichen Schlag – von einem Unwetter überrascht worden war, hatte sich im Gebirge verflogen. Bekanntlich kommt ein Unglück selten allein. Kaum war das Unwetter vorbei, da stürzte sich ein gewaltiger Adler auf die Taube. Vor Angst und Nässe zitternd, gelang es der Taube gerade noch im letzten Augenblick, sich in eine schmale Felsspalte zu retten. Doch auch diese Spalte konnte ihren sicheren Tod nur hinauszögern, aber nicht verhindern. Vor der Spaltenöffnung nämlich war eine Plattform, auf der sich der Adler mit krummschnäbeligem Spotte niederließ.

»Du wolltest mir entkommen: Nun habe ich dich erst recht«, sagte er mit heiserem Lachen.

Jetzt sah die Taube keinen anderen Aus- weg mehr, als ihren Witz und ihre Klugheit. Sie dachte: »Bitten und Betteln hat keinen Sinn, denn Adler haben kein Herz für Tauben. Aber vielleicht ist der Adler für Dankbarkeit empfänglich.« So sagte sie: »Wenn du mich leben läßt, großer Adler, dann wird unter all den Tauben, die dich fürchten und hassen, eine sein, die dir dankbar ist!«

Der Adler, der schon die Kralle erhoben hatte, um die Taube in der Spalte zu schlagen, stellte sich wieder auf beide Beine und sagte: »Es gefällt mir, daß du nicht um dein Leben bettelst, sondern ruhig und vernünftig mit mir zu handeln versuchst. Das nimmt mich für dich ein, denn ich rede gern mit vernünftigen Vögeln. Aber glaube nicht, daß dich das retten wird. Es zögert dein Ende höchstens hinaus. Übrigens muß ich bemerken, daß deine Dankbarkeit mir gleichgültig ist. Denn Taubendank macht Adlern keine Ehre!«

Die Taube, die sich ängstlich tief in die Felsspalte zurückgezogen hatte, merkte unter dem Reden des Adlers, daß ihre Schwanzfedern von einem leichten Luftzug bewegt wurden. Irgendwo hinter ihr mußte ein kleines Loch in der Felswand sein und hinter dem Loch ein freier Raum. Sie merkte auch, daß die Rückwand aus leichtem Geröll bestand und daß sie das Loch mit ihren starken Schwanzfedern erweitern könne. Wenn es ihr gelänge, das Loch zu einem Durchschlupf nach hinten zu vergrößern, hätte sie eine Möglichkeit, dem Adler zu entkommen. Aber dazu brauchte sie Zeit. Sie überlegte blitzschnell. Mit bloßem Geschwätz konnte sie den Adler nicht so lange hinhalten. Sie mußte ihn auf andere Weise fesseln.Und da fiel ihr Scheherazade ein, die ihr Leben rettete, indem sie 1001 Nacht lang Geschichten erzählte.

»So viel Zeit brauche ich nicht«, dachte die Taube. »Es genügen 2 Stunden. Dann ist das Loch zum Durchschlüpfen groß genug. Aber ob ich den Adler so lange fesseln kann?«

Diese Frage huschte ihr durch den Kopf, als der Adler gerade sagte: »Taubendank macht Adlern keine Ehre!«

An diesem Satz hängte die kluge Taube ihre erste Geschichte auf. Sie sagte: »Du hast das Sprichwort verdreht, großer Adler! Es heißt in Wirklichkeit: Spinnendank macht Menschen keine Ehre. Du kennst die hübsche Geschichte sicherlich?«

»Nein«, antwortete der Adler. »Die Geschichte kenne ich nicht. Aber da es gleichgültig ist, ob ich dich sofort oder später fresse, könntest du mich mit der Geschichte ein bißchen unterhalten, bevor du der Welt ade sagst.«

»Gemach!« sagte die Taube. »Ich erzähle sie dir.« Und während sie mit ihrem Schwanz so leise und vorsichtig wie möglich das Loch hinter sich vergrößerte, erzählte sie dem Adler die Geschichte:

Spinnendank macht Menschen keine Ehre.
Am Hyazinthenweg Nr.4 stand ein kleines Haus, in dem ein Kunstmaler lebte. Er hauste dort ganz für sich allein, kochte sich jeden Montag das Essen für die ganze Woche, wusch an jedem zweiten Dienstag im Monat den Hals und die Füße und fegte einmal jährlich, am Mittwoch vor Ostern, sein Häuschen aus. Man kann sich denken, dass das Haus am Hyazinthenwg Nr. 4 ein Paradies für Spinnen war. Nicht weniger als hundertzwölf dieser vielbeinigen Gevattererinnen lebten im Hause des Malers.

Eines Abends im Mai hielten die Spinnen in der Rumpelkammer unter dem Dach ihre jährliche Generalversammlung ab. Sie sprachen über modernste ...

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